Anforderungen unter einen Hut bringen

Unterschiedliche Ansichten zu einem Projekt beleuchten und sichtbar machen für eine zielgerichtete Offertenerstellung in einem Dienstleistungsunternehmen.

Von Kaspar Schlegel (2023)

Im Dienstleistungsunternehmen, in welchem ich als Entwicklungsingenieur und Projektleiter arbeite, werden komplexe Geräte auf Auftraggebendenwunsch entwickelt. Oft sind die technischen und regulatorischen Anforderungen hoch und es sind unterschiedliche Disziplinen wie Software, Elektronik und Mechanik involviert. Dabei gehen die Bedürfnisse der Auftraggebenden und der Endnutzenden vielfach etwas unter und der Spielraum für neue, innovative Lösungen bleibt klein.

Bei der Offertenerstellung für ein neues Gerät kommt die Methode «Wear another hat» zum Einsatz. Die Methode kann dabei einen Mehrwert generieren und Spielraum für spätere Lösungen aufzeigen. Mit geringem zeitlichen Aufwand erarbeiteten die Teilnehmenden (zwei Verkäufer, ein Entwickler/Projektleiter, ein Moderator) verschiedene Ansichten und die Projektaufgaben werden für alle verständlich. Einerseits helfen die unterschiedlichen Sichtweisen von Verkauf und Entwicklung innerhalb des Dienstleistungsunternehmen für eine präzisere Abschätzung von Arbeitspaketen. Andererseits kann die Einschätzung des Projektes direkt dem Auftraggeber kommuniziert werden. 

Mit leichten Anpassungen des Formates kann mehr aus «Wear another hat» herausgeholt werden. So könnten die Endnutzenden und deren Bedürfnisse noch ausführlicher betrachtet werden oder man führt die Methode direkt mit den Auftraggebenden durch. In der vorgegebenen Zeit kann man jedoch nicht in die Tiefe tauchen, die Methode hat daher eher den Zweck einen groben Überblick zu erhalten. 

Wie können wir Auftragnehmende im Dienstleistungsbereich befähigen, den vorgegebenen Lösungsraum zu hinterfragen, um Freiraum für neue Lösungen zu schaffen? 

Ausgangslage

Im Dienstleistungsunternehmen, in dem ich angestellt bin, werden neue Geräte nach Wunsch unserer Auftraggebenden entwickelt. Bevor es zu einem Projekt kommt, werden typischerweise erste Gespräche durch die Verkäufer*innen unseres Unternehmens mit den Auftraggebenden geführt. Nach diesem Kennenlernen und ersten Recherchen wird ein Projekt mit Hilfe der Fachspezialisten (Entwickler*innen, Projektleiter*innen, ...) skizziert. Da es sich oft um Medizintechnikgeräte handelt, sind die technischen und regulatorischen Anforderungen gross und es sind diverse Disziplinen wie Software, Elektronik und Mechanik involviert. Vielfach dauern die Projekte über mehrere Jahre. Dabei gehen die Bedürfnisse der Auftraggebenden und der Endnutzenden manchmal etwas unter und es kommt zu vagen Anforderungen an das zu entwickelnde Gerät.

Vorgehen & Methodenanwendung

Um schon eine Projektofferte optimal auf den Auftraggeber abzustimmen, wird «Wear another hat» vor dem Projektstart während dem Schreiben der Offerte angewendet. Nach den ersten Gesprächen mit dem Auftraggeber, welcher ein neues Gerät entwickeln möchte, kommen zwei Verkäufer, ein Projektleiter/Entwickler und ich als Moderator zusammen und führen die Methode während etwa 75 Minuten durch. 

Sich in die Auftraggeber*innen versetzen
Ein Blick auf die Sicht des Auftraggebers fördert interessante Erkenntnisse zu Tage. Der Auftraggeber möchte ein Gerät mit, für ihn komplett neuartiger, Funktionsweise entwickeln lassen. Er kennt den Markt bereits und möchte den Anschluss in diesem neuen Bereich nicht verpassen. Dabei werden sich mehrere Dienstleistungsunternehmen an der Entwicklung beteiligen. 

Krone der Endnutzenden tragen
Die zwei wichtigsten Endnutzenden werden genauer beleuchtet. Das Bedürfnis nach einem flexibel positionierbaren Gerät kommt zur Sprache. Damit sollen ergonomische Arbeitspositionen zur Reduzierung von körperlichen Beschwerden der Endnutzenden möglich werden. Eine geschickte Moderation, die geeignete Fragen zum Füllen der vorgegebenen Satzstruktur aufbringt, vergrössert die Erfolgschancen gut in den Kontext der Nutzung einzutauchen.

Sicht der Dienstleistenden einnehmen
Durch die gesammelten Erkenntnisse aus den vorhergehenden Schritten lässt sich das Projekt nun klarer einschätzen. Beim «Development Risk» kommt zu Tage, dass der Projektleiter/Entwickler ein höheres Risiko sieht als der Verkäufer. In einer klärenden Diskussion kommen schlussendlich alle zur gleichen Einschätzung.

Insights und Reflexion
Während der Reflexion sehen die Teilnehmenden das grosse Potential beim Auftraggeber als gesamtheitlicher Entwicklungsdienstleister wahrgenommen zu werden. Als Risiko wird der Koordinationsaufwand der vielen Projektbeteiligten und die zwei widersprüchlich wahrgenommenen Zielgruppen des Auftraggebers gesehen.

Grundlage für weitere Arbeiten im Projekt
Mit all den geführten Diskussionen kann nun eine fundierte Offerte für das Entwicklungsprojekt erstellt werden. Vieles, was bei einzelnen Teilnehmenden schon im Kopf war, ist durch das Festhalten explizit und für alle sichtbar geworden. Die erarbeitete Einschätzung der Projektsicht und der wichtigsten Bedürfnisse der Endnutzenden können die Verkaufenden direkt an den Auftraggeber kommunizieren oder es kann eine klärende Diskussion initiiert werden. Zusätzlich hat der Projektleiter/Entwickler nun genügend Informationen, um einen gut abgestimmten Entwicklungsaufwand zu schätzen.

Ergebnisse & Reflexion

Ergebnisse

  • Mit kleinem Zeitaufwand werden am Anfang eines Projektes verschiedene Sichtweisen erfolgreich eingenommen und für alle transparent gemacht.

  • Das sprichwörtliche Tragen verschiedener Hüte bietet eine anschauliche Verbildlichung der Methode.

  • Die gewonnen Erkenntnisse lassen sich für weitere Arbeiten nutzen (z.B. Offertenerstellung, Aufwandsschätzung, Definition von Arbeitspaketen, Diskussionen von offenen oder unklaren Punkten, …).

  • Alle Teilnehmenden schätzen die gewählte Tiefe der Methode und sind sich einig über den Mehrwert, so dass sie die Methode wieder einsetzen würden.

Anforderungen unter einen Hut bringen

  • Die Vorgehensweise in der Methode, insbesondere die verschiedenen Einschätzungen zum Projekt, musste während den Tests mehrfach verfeinert werden, damit die aussagekräftigsten Parameter übrig blieben.

  • Um ein gutes Bild der Endnutzenden zu erhalten, ist etwas Übung und/oder geschickte Moderation nötig.

  • Die Methode lässt sich einfach für einen längeren Workshop skalieren, indem beispielsweise mehr Endnutzende betrachtet werden.

  • Es ist sehr empfehlenswert, dass die Auftraggebenden selber bei dieser Methode teilnehmen können.

Service Provicer Cap - Besprechung der Ausführendensicht
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Insights in der Gruppe erarbeiten
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