Barrieren blinder Menschen verstehen

Eine Methode, um die Empathie zwischen blinden und sehenden Menschen zu fördern.

Von Danny Arielli (2021)

Blinde Personen verwenden dieselben digitalen Produkte wie sehende. Dafür stehen ihnen Tools zur Verfügung, die jedoch oft nicht ausreichen, weil bei der Gestaltung von Produkten häufig Bedürfnisse von blinden Personen und die Barrierefreiheit nicht oder nur ungenügend berücksichtigt werden.

Es stellt sich also die Frage, wie man die Empathie und das Verständnis zwischen sehenden Menschen und Menschen mit Sehbehinderung erhöhen kann.

Die Methode versetzt sehende Personen in die Welt der blinden. Mit aufgesetzter Maske müssen sie dem eigenen Tastsinn vertrauen wodurch ein spannender Erfahrungsaustausch entsteht. Die Erfahrung aus den Testings ergab, dass es sehr verunsichert, wenn man kein gesprochenes Feedback erhält. Da man visuell eingeschränkt ist, ist dies neben dem Tastsinn die wichtigste Hilfe. Die Testpersonen fanden jedoch meist einen Weg, sich gegenseitig zu unterstützen. Beispielsweise half die blinde Person einer sehenden, die Mühe damit hatte, einen Lösungsansatz zu finden. Mit dem Ratschlag: «Stell dir vor, du schaust von oben auf die Lego Fläche» gab er der Testperson ein Mittel an die Hand, die Herausforderung anzugehen.

Wie können wir Sehende dabei unterstützen, ihre Empathie für blinde Menschen zu steigern, um mit ihnen in einen tieferen Dialog zu treten, um letztlich barrierefreie Produkte und Dienstleistungen entwickeln zu können? 

Ausgangslage

Wenn man von Benutzer*innenfreundlichkeit spricht, wird im Kontext der Screen-basierten Produkte und Services auch die Barrierefreiheit wichtiger. Wie interagieren blinde Menschen mit Produkten, die für Sehende entwickelt wurden? In unserem User Experience Team arbeiten wir mit einem Kollegen, der sich als blinde Person um solche Themen kümmert. Sehende haben oft einen geringen Bezug zu den Herausforderungen blinder Menschen, doch zeigen sich viele betroffen, wenn sie die Probleme hautnah erleben. Über Erfahrungsberichte oder Beobachtungen alleine ist es jedoch schwierig, die Herausforderungen zu begreifen, die sich blinden Menschen stellen.

Vorgehen & Methodenanwendung

Materialien
Für die Durchführung braucht es Lego Bausteine (Anzahl definiert) und eine Schlafmaske, damit die sehende Person nichts sehen kann. Die Zusammenstellung könnte in einem entsprechenden Set angeboten werden.

Methode

  1. Die sehende Person stellt sich drei Fragen zu der anstehenden Aufgabe oder zu den Herausforderungen aus dem Alltagsleben. Beispiel: «Manchmal sehe ich Blinde im Tandem mit sehenden Joggen. Wie funktioniert das?». Die Frage kann mit allen Teilnehmenden geteilt und schriftlich festgehalten werden.
  2. Danach baut die blinde Person innerhalb von zwei bis drei Minuten eine beliebige Figur oder ein Muster mit den Lego Bausteinen. Die sehende Person trägt dabei die Maske. Die Erfahrung zeigt, dass sich bereits hier Gespräche ergeben.
  3. Jetzt hat die sehende Person Zeit, die Figur zu ertasten und nachzubauen. Dafür stehen ihr circa 15 Minuten zur Verfügung. Hier kann die blinde Person Einfluss nehmen - zum Beispiel mit Denkanstössen, es darf jedoch nicht mitgebaut werden.
  4. Ist die Zeit vorbei oder ist der Sehende der Meinung, die Figur sei nachgebaut, wird aufgelöst und überprüft, ob die Figuren deckungsgleich sind.
  5. Zum Schluss kommen wir wieder um die drei am Anfang gestellten und aufgeschriebenen Fragen. Können diese nun beantwortet werden oder wurden sie bereits während der Diskussion geklärt? Notiere dir die Antwort die du auf die Fragen geben kannst mit Hilfe des pdf's. Falls die Antworten auch Implikationen auf das Projekt hat, kann die letzte Spalte dazu benutzt werden diese zu notieren.

Wie sieht Erfolg aus?
Wenn eine Diskussion entsteht, in welcher die drei Fragen beantwortet werden können, ist die Chance hoch, dass die Empathie für Nicht-Sehende erhöht werden konnte. Wichtig ist der Dialog, denn dieser erlaubt es allen voneinander zu lernen und Probleme zu verstehen.

Ergebnisse & Reflexion

Die Testings mit blinden und sehenden Personen haben aufgezeigt, welche Materialien sich für meine Methode am besten eignen. Zwar wurde mit allen Test-Objekten eine gewisse Wirkung erzielt, die den Austausch und das Erlebnis mit dem Tastsinn erfahrbar machten, doch die Lego Bausteine ermöglichten es letztlich am besten, gezielt und sauber zu arbeiten. Bei Plastilin war oft das Problem, nicht genau zu wissen ob die Figur exakt nachgebaut wurde. Es entstand immer ein Interpretationsspielraum, zudem hinterliess es Rückstände auf Tisch und Händen.

Interessant war auch der jeweils gewählte Lösungsansatz. Zuerst die Steine ordnen oder doch einfach drauflos bauen? Entwickelt sich ein Gespräch mit dem Gegenüber oder wird einfach mal beschrieben, was man fühlt?

Über die erhaltenen Ergebnisse und die gewonnenen Erkenntnisse bin ich sehr dankbar. Das Arbeiten mit blinden Menschen bewirkt ein Umdenken und führt aus der Betroffenheit hinaus, welche Sehende im Umgang mit blinden Menschen im ersten Moment oft haben. Die Rückmeldungen der Testpersonen waren durchwegs positiv hinsichtlich Methodenzweck und Erfahrung.

Übergabe der Legofigur
Übergabe der Legofigur
Beim Bauen und Ordnen
Beim Bauen und Ordnen
Beim Testen vom Plastilin
Beim Testen vom Plastilin
Erstes Herantasten
Erstes Herantasten
Stimmt die Figur?
Stimmt die Figur?