Bedürfnisorientierte Prozesse gestalten

Kontinuierlich verbesserte Prozesse durch die Einbindung von Stakeholdern

Von Marc Kaufmann (2024)

In der Logistikindustrie stehen die Wünsche der Kund*innen an erster Stelle. Die Waren sollen zur gewünschten Zeit und in bestmöglichen Zustand abgeholt und wieder ausgeliefert werden. Prozesse müssen strikt eingehalten werden, damit z.B. Kühlketten nicht unterbrochen werden oder der Standort der Ware jederzeit überprüft werden kann. Dabei wird den Fahrer*innen viel abverlangt. Oft tauchen im Laufe des Prozesses Herausforderungen oder Probleme auf, die bisher nur mündlich überliefert wurden und leider oft verloren gegangen sind. Dies führte von schlecht glaunten Fahrer*innen bis hin zu einer hohen Fluktuation. Ich suchte nach einer Möglichkeit, diese Pain Points aufzunehmen ohne Fahrer*innen im Arbeitsalltag zu stören. In einem nachgelagerten Schritt werden die gefundenen Punkte in einem interdisziplinären Team bewertet und priorisiert. Für die dringlichsten Probleme werden Lösungen erarbeitet, um den Prozess kontinuierlich zu verbessern. 

Wie können wir die wichtigsten Bedürfnisse und Pain Points von Personen erkennen, um dann im nächsten Schritt Lösungen erarbeiten zu können?

Ausgangslage

Als Softwaredienstleister*in ist es nicht nur unsere Aufgabe, die bestehenden Prozesse unserer Kund*innen zu verstehen, sondern auch die Bedürfnisse der Endnutzer*innen zu ermitteln, um Lösungen zu erarbeiten, die ihnen die Arbeit erleichtern. Wir entwickeln in enger Zusammenarbeit mit unserem Kunden, einem Logistikanbieter, massgescheiderte Lösungen zur Digitalisierung von Prozessen in der Auftragserfassung bis zur Zustellung. Im Rahmen einer Überarbeitung der Auslieferungs-Applikation richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Menschen, die davon unmittelbar betroffen sind.  

Vorgehen & Methodenanwendung

Prototyping
Zuerst habe ich einen digitalen Prototyp entwickelt, der es erlaubt digital Pain Points und die Stimmung der Fahrer*innen zu erfassen. Paralell dazu kreierte ich einen physischen Prototyp, auf dem man auf Post-Its die Pain-Points festhalten und mit der Farbe der Post-Its den Gemütszustand ausdrücken konnte.  

Vorstellung der Prototypen
Die beiden Prototypen stellte ich dem Product Owner vor. Dabei trat eine neue, wichtige Anforderung an die Methode zutage. Die Methode darf den Arbeitsfluss nicht unterbrechen und da das Fahrpersonal bereits ein Mobile Onboard Unit (Ausliefergerät) mitführt, sollte ich von einer App absehen. 

Prototyping II
Danach wurde ein neuer Prototyp entwickelt, der jeweils nach Abschluss der Arbeit ausgefüllt wird und somit die Arbeit nicht stört. Zusätzlich führte diese Änderung zu einem einheitlichen Format der Resultate, was die Auswertung der Templates erleichtert. 

Testing 
Dieser Prototyp wurde dann von einer Lehrperson und von einem Software Team als Teil der Sprint Retrospektive getestet. Die Rückmeldungen waren durchgehend positiv. Der einzige Kritikpunkt war die Anordnung der auszufüllenden Felder. Daraufhin wurde die Reihenfolge des Diagramms und der Pain Points getauscht. 

Findings
Entgegen meinen Erwartungen hatten zwei Probanden die Instruktionen falsch verstanden und zeichneten pro Pain Point eine Emotionskurve anstatt nur die Pain Points auf dem Diagramm zu visualisieren. Dadurch konnte der emotionale Verlauf eines Pain Points dargestellt werden, jedoch litt die Übersichtlichkeit des Diagramms darunter und die generelle Befindlichkeit war nicht zu erkennen. Ebenfalls hat mich die Zusammenfassung in einem Satz überrascht. Bei einigen Probanden war sie viel positiver als es der Graph oder die Pain Points vermuten lassen würden.  

Weiteres Vorgehen 
In einem nächsten Schritt wird die Methode mit zwei bis drei Fahrer*innen eine ganze Woche lang getestet und ihr Feedback ausgewertet. 

Ergebnisse & Reflexion

Die Methode kann in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden. Das Template ist sehr einfach zu handhaben und schreckt kaum jemanden ab es auszufüllen. Durch die Tipps&Tricks-Seite und die Vorlage ist das Template selbsterklärend. Sowohl die Einführung wie auch die benötigten Materialien sind minimal. Die grosse Herausforderung bei der Methode besteht darin, die Reflexion noch am selben Tag vorzunehmen, damit alles noch präsent ist. Wird der Erinnerungsticker oder das Post-It vor dem Ausgang oder nahe der Zeiterfassung plaziert, gelingt es den Proband*innen die Templates zuverlässig auszufüllen. 

Ursprünglich ging ich von der Annahme aus, dass möglichst viele Rückmeldungen der Proband*innen gesammelt werden müssen, damit aussagekräftige Schlüsse gezogen werden können. Durch die Auswertung meiner Methode zeigte sich, dass es genügt die bewussten Schlüsselerlebnisse der Poband*innen festzuhalten. Um die unbewussten Poin Points aufzunehmen, eignen sich andere Methoden wie «Shadowing» oder «A Day In The Life» besser. Idealerweise wird Pain Point Journaling in Kombination mit anderen Methoden eingesetzt, um ein ganzheitliches Bild der Pain Points zu erhalten. 

Ablauf bedürfnisorientierter Prozesse
Ablauf bedürfnisorientierter Prozesse
Kann auch für Feedback von Workshops oder Sprints verwendet werden
Kann auch für Feedback von Workshops oder Sprints verwendet werden
Regelmässiges Pain Points Journaling erzeugt einen Befindlichkeitsverlauf
Regelmässiges Pain Points Journaling erzeugt einen Befindlichkeitsverlauf