Der Raum zwischen Problem und Lösung

Denken mittels einer spielerischen Methode aufbrechen und wortwörtlich in Frage stellen.

Von Antonio Maggio (2019)

Eine der Herausforderung in der Produktentwicklung ist es, dem Zeitdruck standzuhalten. Viele Produkte sind geprägt durch voreilige Lösungen, die den Kundschaftserwartungen nicht gerecht werden. Zeit, sich ein besseren Bild zu verschaffen und den Weg vom Problem zur Lösung bewusster zu gestalten, nimmt man sich zu wenig. Mein Methodenprojekt ist diesem Problem gewidmet. 

Iterativ, versuchte ich herauszufinden wie Lösungen entstehen. Ich wollte die Schritte von Erkenntnisse, Annahmen, Hypothesen bis hin zu Ideen und deren Auswahl verstehen. Ich startete meine Reise, indem ich eine Handvoll Teammitglieder interviewte um herauszufinden, wie Sie die Brücke zwischen den einzelnen Schritten schaffen. Daraus entstanden Prototypen von Canvases, auf welchen jeweils einer der Schritte erfasst werden sollte. Ich bat meine Kollegen und Kolleginnen, diese als Team zu nutzen und befüllen. Aus diesem Prozess kam ich mit wichtigen Erkenntnissen.

  • Der Weg hin zur Lösung ist kein linearer Prozess. 
  • How-might-we (HMW) Fragen vereinen Problemaspekte und Lösungaspekte.
  • Das kreative formulieren von HMW-Fragen ohne Hilfsmittel stellt eine Hürde dar. 

Als Antwort daraus entstand Creative Wanderlust, ein Spiel, dass bewusst auf HMW-Fragen aufbaut. Ziel des Spiels ist es, eine anfängliche HMW-Frage zu verändern. Die zentrale Rolle im Spiel übernimmt ein Kartenset, dass der spielenden Person Anweisung dazu gibt wie die HMW-Frage neu zu formulieren ist. Damit sollen bewusst Problem- und Lösungsraum verändert werden, damit neue HMW-Fragen entstehen. Dabei gilt zu beachten, dass HMW-Fragen nicht die Lösung beschreiben, sondern Lösungsmöglichkeiten.

Die Fülle an HMW-Fragen sind unterschiedliche Blickwinkel auf das Problem und beinhalten mögliche Lösungsrichtungen. Produktteams können die HMW-Fragen nun Anhand von Kriterien verorten und bewerten, um zu entscheiden, welche Sie weiterverfolgen.

Wie können wir ein Werkzeug schaffen, welches Lösungsansätze frühzeitig, kreativ aus diversen Blickwinkel beleuchtet, so dass voreilige Lösungen in Frage gestellt werden und neue, bessere Lösungsmöglichkeiten entstehen?

Ausgangslage

Ich arbeite als UX Designer oft flussaufwärts und stelle geplante Anforderungen und Lösungen in Frage. Dabei versuche ich, die vorgeschlagene Lösungen und getroffenen Annahmen zu hinterfragen. Persönlich nehme mir Zeit, den Problem- und Lösungsraum zu beleuchten. Sehr oft resultieren daraus, relevante neue Blickwinkel und interessante Lösungsrichtungen. 

Das Produktmanagement erarbeitet zukünftige Produktentwicklungen unter Zeitdruck und daher oft isoliert. Es besteht kein systematischer Ansatz, andere Sichten und neue Fragestellungen zu erkunden. Als Konsequenz schaffen die Lösungen oft wenig kompetitiven Mehrwert und sind nur punktuell, nicht ganzheitlich. Ironischerweise zeigte sich in vielen Situationen bei der Arbeit, dass sie sich neue Blickwinkel wünschen. Sie wollen Ihre Annahmen und vorgeschlagenen Lösungen fundierter beleuchten und hinterfragen. So kam es auch, dass während einer Diskussion über mein CAS Design Methods, mich zwei Produktmanagement-Mitarbeitende dazu ermutigt haben, dafür ein Hilfsmittel zu gestalten. 

So startete mein Weg, der über viele Erkenntnisse, zu Creative Wanderlust führte.

Vorgehen & Methodenanwendung

Vorgehen

Ich habe mich der Aufgabe iterativ und sehr explorativ gewidmet. Aus ersten Interviews mit Produktmanagern und Produktmanagerinnen, habe ich Canvases, als Prototypen, entworfen um bestimmte Gedankenschritte zu testen und zu beleuchten. 

Mittels formativer Tests der Canvases, habe ich Feedback zu den verschiedenen Schritten hin zu einer Lösung beobachtet und erfragt. Von Annahmen zu Hypothesen bis hin zu HMW-Fragen. Glücklicherweise erkannte ich, dass diese Gedankenbrücke nur auf Papier linear funktioniert. Vielmehr machen sich Menschen gleichzeitig Gedanken zum Problemraum – sprich Annahmen und Hypothesen – und den Lösungsraum – sprich Fragestellungen und Ideen. Beides beeinflusst sich gegenseitig und ist nicht klar abzugrenzen.

Ein persönlicher Wendepunkt war, als ein Produktmanager zu mir sagte: «How-might-we Fragen empfinde ich als Lösungen.»
So hatte ich dies noch nie betrachtet. Tatsächlich, eine HMW-Frage vereint Annahmen über den Problemraum und setzt gewisse Schranken für den Lösungsraum. Ich verwarf meine Canvas, sie stellten sich als zeitintensiv heraus und sie bewirkten oft Debatten beim Ausfüllen.

Ich konzentrierte mich ab sofort darauf, wie ich die Erkenntnis über HMW-Fragen verwenden kann, um neue Blickwinkel – Annahmen über Problem- und Lösungsraum – generieren kann. Inspiriert vom HMW-Worksheet der d.school, das ich in einer Researchphase entdeckte, erarbeitete ich ein Kartenset. Die Karten animieren zum Umformulieren von bestehenden HWM-Fragen.

Darauf aufbauend entstand ein ganzes Spiel, dies aus der Überlegung eine positive Gruppendynamik zu fördern. Das Spiel heisst Creative Wanderlust.

Anwendungsfall
Nachfolgender Anwendungsfall, ist einer der beiden Testläufe, die ich gespielt habe um die Spieldynamiken zu optimieren und zu testen, ob die Karten zum gewünschten Ergebnis führen. 

  • Vorbereitung
    Ich druckte die nötigen Materialien und formulierte die anfängliche HMW-Frage. 
    Das einfache Beispiel, das ich gewählt hatte um das Spiel zu testen war.
    Wie können wir unseren Zeitplan verändern, damit die Wartezeit zwischen Anschlusszügen für Pendler*innen kürzer sind, so dass diese mehr Freizeit haben?
  • Einleitung
    Ich stelle das Themengebiet und das Ziel vor. Ich positioniere,die HMW-Frage auf der Achse zwischen Problem und Lösung und erkläre deren Struktur – «How might we… to… so that…». Ich weise die Spieler*innen zudem darauf hin, im Themengebiet zu bleiben.
  • Spielerklärung
    Als Spielleiter erkläre ich den Spielenden – Roy, Irina und Krassimira – das Spiel und den Ablauf. Und gebe ein Zeitlimit von 30 Minuten. 
  • Spielen
    Die Spieler*innen beginnen das Spiel. Sie drehen die erste Karte, tauschen sich kurz aus, und formulieren Ihre neue, umformulierte HMW-Frage. Würfeln und kommen vorwärts. «Armer Roy! Er hat eine null gewürfelt.» Die nächste Karte wird gedreht. Kurzer Austausch, und schon formulieren Sie die nächste Frage. Nach und nach stapeln sich die Post-it’s mit den neuen HMW-Fragen… 
  • Reflexion
    Zum Schluss will ich von meinen Kollegen und Kolleginnen wissen, wie es sich angefühlt hat. Das Spiel hat den drei Spielern und Spielerinnen Spass gemacht und gefiel. Sie fanden es auch beeindruckend, wie mit den Karten ein neuer Blickwinkel auf das Problem und eine neue Lösungsrichtung entsteht. Sie wollten die Methode gleich mit geschäftsrelevanten Themen und Fragestellungen anwenden. Einzige Unklarheit für Sie ist, wie man die Ergebnisse weiterverwenden kann.

Dieser letzte Punkt, scheint der Schlüssel zu sein, um das Spiel im Geschäft anzuwenden. Das Spiel muss mit zusätzlichen Methoden angewandt werden. Die zusätzlichen Methoden sollen helfen die gesammelten HMW-Fragen zu verorten und zielführend zu bewerten. In der Reflektion findet sich ein Vorschlag dazu.

Ergebnisse & Reflexion

Zur Methode

  • Das Spiel liefert mit Hilfe der Karten, das gewünschte Ergebnis. Die Karten waren in beiden Anwendungsfällen verständlich und provozierten, wie erhofft, gewünschte neue Blickwinkel. 
  • Die Spieldynamiken die ich mir vorgstellt hatte, wurden dank den Tests besser und zielführender. Auch zeigte sich mir, dass es auf Details ankommt. Vor allem im Bezug auf die Struktur der HWM-Frage. Es ist zentral diese Ergebnisorientiert, nach folgendem Prinzip, zu formulieren. 
    How might we {Sich einen Lösungsraum aussuchen}... to… {das Ziel setzten}... so that… {die Motivation definieren.}
  • Zu Beginn des Spiels, ist die Positionierung enorm wichtig. Anfangs die HMW-Frage und Ihren dualen Charakter zu erklären. Den Unterschied von Problem und Lösung zu erläutern und Ihnen zu erklären, dass eine HMW-Frage sich in der Mitte befindet. Auch sollte man die Spieler*innen anweisen, beim formulieren der Fragen, dass Themengebiet nicht verlassen. 
  • Mit dem Spiel selbst, können die Ergebnisse nicht evaluiert oder verortet, dafür müssen zusätzliche Methoden angewandt werden. 
    Es empfiehlt sich, das Spiel in einem Workshop einzubinden und zusätzliche Methoden zu nutzen. Wir werden eine «2x2 Matrix» verwenden um die HMW-Fragen zu verorten. Wir verwenden die Dimensionen «möglicher Geschäftserfolg» und Unsicherheitsgrad. Zum Schluss werden die Teilnehmer gebeten, die HMW-Fragen mittels «Dot Vote» zu bewerten. Sie sollen uns mit fünf Punkten kundtun, welche HMW-Fragen aus Ihrer Sicht weiterzuverfolgen sind.  

Zur Meta-Ebene bei den Teilnehmern

  • Die Teilnehmenden ergründen neue Blickwinkel, dadurch erhöht sich Ihre Empathie. 
  • Ein Bewusstsein über die differenzierte Betrachtungsweise Themen und Problemen entsteht. Das Mindset der Teilnehmenden verändert sich im Bezug auf Ihr Verständnis der «Wahrheit».
  • Die Teilnehmenden debattieren nicht und konzentrieren sich auf Ihre Aufgabe, einen neuen Blickwinkel zu erstellen. 
  • Die Teilnehmenden haben Spass.

Zum Vorgehen

  • Ohne das kontinuierliche Testen und den Austausch mit meinen Teammitgliedern, wäre das Spiel nicht so entstanden. Ich bin in viele Richtungen gegangen und musste mich überwinden Sachen wegzuwerfen. Alles was ich wegwarf, hatte mir jedoch Erkenntnisse geliefert und ist dies Teil des Prozess. 
Das benötigte Material (ohne Würfel)
Das benötigte Material (ohne Würfel)
Wie ist wohl der Blickwinkel, ohne Brille?
Wie ist wohl der Blickwinkel, ohne Brille?
Huch, wie formuliere ich dies um?
Huch, wie formuliere ich dies um?
In action...
In action...
Zeit über das Spiel zu reklektieren...
Zeit über das Spiel zu reklektieren...