Einmal am Entscheidungsrad gedreht

Ein Vorgehen zur kollektiven Entscheidungsfindung im selbstorganisierten Team.

Von Corine Thommen (2021)

In einer Gruppe den gleichen Nenner zu finden ist anspruchsvoll, umso mehr wenn es um Ziele und Prioritäten geht. Gerade in selbstorganisierten Teams ohne klassische*n Chef*in ist die Entscheidungsfindung oft nicht klar geregelt und wird stärker dem Kollektiv überlassen.

Aus eigener Erfahrung kenne ich die ausschweifenden Diskussionen im Projektteam, daher legte ich den Schwerpunkt darauf, eine einfache Struktur für eine transparente inhaltliche Diskussion zu finden, ohne die Vielfalt von Perspektiven zu vernachlässigen.
Entsprechend den aktuellen Rahmenbedingungen mit HomeOffice wurde die Methode in einem virtuellen Setting angewendet. Das «Entscheidungsrad» führte uns innerhalb von 90 Minuten strukturiert durch den Prozess und brachte das Team zur verbindlichen Entscheidung über die nächsten Schritte im Innovationsprojekt. Eine Methode kann und soll die inhaltliche Konsolidierungsarbeit nicht ersetzen, jedoch hat sie sie vereinfacht und ihr Orientierung gegeben.

Wie können wir für ein selbstorganisiertes Team den Entscheidungsprozess so gestalten, dass sie eine verbindliche kollektive Entscheidung über nächste Schritte treffen können?

Ausgangslage

Mit der Verbreitung von agilen Methoden entstehen immer mehr selbstorganisierte Teams – so auch im Innovationsbereich der SBB. Klare Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren ist wichtig, jedoch fällen die Teams strategische Entscheidungen oft kollektiv. Dies berücksichtigt verschiedene Perspektiven und stellt den «Buy-in» des Teams sicher. Gleichzeitig ist dies aber sehr anspruchsvoll. Bisher war das Vorgehen nicht klar definiert und im konkreten Innovationsprojekt verstrickten wir uns oft in lange Diskussionen.

Vorgehen & Methodenanwendung

Unser Ziel war es, schneller verbindliche und für andere nachvollziehbaren Entscheidungen zu fällen, ohne die verschiedenen Perspektiven zu vernachlässigen. Konkret sollten vor Jahresende die nächsten Schritte priorisiert werden. Dazu organisierten wir entlang der Phasen auf dem Entscheidungsrad ein Workshop von 90 Minuten - den Umständen entsprechend virtuell auf Miro und via Teams.

Eintauchen
Im Projektteam hatten davor bereits informelle Diskussionen stattgefunden, jedoch ohne die Optionen systematisch festzuhalten oder gegeneinander abzuwägen. Nach einem kurzen Check-in und einer individuellen Denk-Minute fiel es den acht Teilnehmenden relativ leicht, ihre Mindestanforderungen für eine gute Entscheidung auf dem Board fest zu halten.
Um die Perspektiven im Team greifbar zu machen, wurde das Biltz-Persona Template verwendet. Das Team teilte sich dazu in 2-er Gruppen auf und nahm jeweils die Rolle des anderen ein, um von seiner/ihrer Warte das Gesamtwohl des Projekts zu beurteilen. Aus dieser Perspektive wurden anschliessend individuell während 10 Minuten die Lösungsoptionen gesammelt.

Zusammenbringen
Aus den individuellen Inputs gestalteten wir danach im gemeinsamen Lösungsraum mit Hilfe der 1-2-4-all Methode eine einheitliche Entscheidung. Dazu markierten die Teilnehmenden jeweils überschneidende und divergierende Aspekte und beurteilten deren Bedeutung für das Gesamtvorhaben.
Die Konsolidierung nimmt meist einige Zeit in Anspruch. Dies ist jedoch gut investierte Zeit, solange die Diskussion inhaltlich konstruktiv bleibt. Gutes Timeboxing und die Rolle eines Protokollanten helfen für ein effizientes Durchkommen. Zudem sind die Mindestanforderungen vom Anfang ein gutes Mass, ob ein «gut genug» erreicht wurde. Dank Miro waren die Kriterien während der ganzen Diskussion vor Augen und es gab keine grossen Unstimmigkeiten.

Nachvollziehen
Die Arbeit auf einem gemeinsamen Board half nicht nur bei der einfachen Dokumentation der Entscheidung, sondern visualisierte automatisch die verschiedenen Zwischenergebnisse. Dies machte die Entscheidung für das Team auch nach der Weihnachtspause nachvollziehbar und kann auch als Kommunikationsmittel verwendet werden.

Ergebnisse & Reflexion

Dank der Methode konnten trotz klaren Ablaufvorgaben die Kreativität und Empathie im Entscheidungsprozess beibehalten werden. Nach 90 Minuten hatten wir als Team eine Lösung gebaut, über welche wir uns im Detail einig waren.
Es bleibt zu beachten, dass ein Rollenwechsel anspruchsvoll ist und gut angeleitet werden muss - gerade im virtuellen Raum, wo keine Verteilung von Namensschildern möglich ist. Es ist einfacher, wenn die Rollen nicht in der Gruppe selbst vertreten sind.
Die Methode bietet die Flexibilität, die verschiedenen Schritte auf dem Rad in der passenden Tiefe auszugestalten. Nicht immer ist gleich viel Perspektivenwechsel oder Konsolidierungsarbeit nötig. Zudem können Elemente auch einzeln verwendet werden, wie zum Beispiel die Blitz-Persona zur Förderung von Empathie bei der Ideengenerierung.

Miro Screenshot «Lösungsteil»
Miro Screenshot «Lösungsteil»
Miro Screenshot «Perspektiventeil»
Miro Screenshot «Perspektiventeil»
Virtuelle Zusammenarbeit
Virtuelle Zusammenarbeit