Alles ging irgendwie schnell und sie war nicht mehr Ende 30 Single, unabhängig, frei, erfolgreich in einer coolen Single Wohnung und auf der Suche nach der wahren Liebe. Sie war auf einmal anfangs 40, verheiratet und zog in eine neue, coole Pärchen Wohnung mit ihrem Lebenspartner ein (auch Ende 30 Single, unabhängig, etcetera). Eros hat zwar alle Ecken und den Alltag gefüllt, aber es fing an eng zu werden in der gemeinsamen Wohnung und auf einmal wurde sie dann auch noch rund. Das Baby kam auf die Welt, aus 2 wurden 3, noch mehr Liebe und Freude aber auch neue Sorgen und Konflikte kommen in den Alltag und nehmen immer mehr Raum ein. Dem frischen Paar ist klar, es braucht ein neues, passenderes Zuhause.
Mit der einfachen Ausgangsfrage «Wie wollen wir ab heute in unserem neuen Zuhause leben und was stört uns in unserer heutigen Situation?», fingen wir, beziehungsweise das Paar und ihr kleiner Junge an den Totem Canvas zu füllen und gemeinsam gelangten wir zum Ergebnis, dass Privatsphäre, räumliche Flexibilität und ein Gefäß um Likes und Dislikes zu kommunizieren für das Paar sehr wichtig sind. Unausgesprochene Bedürfnisse wurden ausgesprochen und eine gemeinsame Vision nahm Gestalt an.
Wie können wir als Gestalter*innen Verständnis für die Bedürfnisse und Wünsche unserer Kundschaft gewinnen und ihnen die Möglichkeit geben eine aktive Rolle in der Gestaltung ihrer zukünftigen Umgebung zu spielen?
Es geht um die gegenseitige Beeinflussung von Raum und persönlichem Wandel, Wandel in Beziehungen und Interaktionen in verschiedenen Lebenssituationen und Phasen. Es geht um eine möglichst vertiefte Einsicht in die resultierenden Probleme und mögliche neuen Chancen. Letzen Endes geht es darum, sich dieses Wandels aus menschlicher Sicht bewusst zu werden, um den passenden Raum für alle Nutzenden zu kreieren.
Als Innenarchitekturprofis müssen wir unserer Kundschaft sehr nahekommen, um Verständnis für ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Vor allem wenn es um ihr Zuhause geht, brauchen wir Einblick in komplexe Verhältnisse und Alltagssituationen, die nicht immer einfach zu kommunizieren sind. Meine Kundschaft ist in diesem Fall ein frisch verheiratets Paar Ende 30, Anfangs 40, das kürzlich ein Kind bekommen hat und auf der Suche nach einem neuen Zuhause ist.
Vor dem Workshop
Ich schickte den beiden die Beschreibung des Totem Canvas und bat sie Fotos von ihrem heutigen Zuhause zu machen. Natürlich sollten sie sich Gedanken darüber machen, was ihnen dabei gefällt und was nicht, sie hatten auch die Möglichkeit sich über ihr altes Zuhause zu äußern, falls dies maßgebend für sie sein sollte.
Es ging um die Beantwortung folgender Frage: Was stört uns in unserer heutigen Situation und wie wollen wir ab heute in unserem neuen Zuhause leben?
Im Workshop
Stellte ich ihnen nochmal die 4 Felder des Totem Canvas Tools vor:
- Wie sieht unser Zuhause heute aus, was gefällt uns und was nicht und
- Wie sehen wir uns heute oder wie verhalten wir uns heute als einzelne Personen und als Paar/Familie in diesem Kontext. Ich merkte, dass diese privaten Fragen zu Beginn ein unangenehmes Gefühl verursachten; als sie jedoch anfingen in den Magazinen zu blättern und sich Fotos auszusuchen, die ihre heutige Situation beschreiben sollten, kam ein gewisser Flow, sie haben die Bilder ausgeschnitten und notierten sich ihre Gedanken. Der kleine Junge gab auf seine einzigartige Weise seine Inputs und brachte gute Stimmung auf: «Sind Mama und Papa jetzt auch in der Krippe?»
- Wie sehen wir uns als einzelne Personen und als Familie morgen (also in 2,5,10,15,20 Jahren). Hier wurde es nochmal komplexer und die beiden sprangen immer wieder zwischen naher und weiter Zukunft, zwischen ich und wir, mehr Kindern, Großeltern, neuen Jobs, ja sogar zwischen Stadt Zürich und einem anderen Ort.
- In der letzten Phase bekam das Paar die Möglichkeit, wie Profis sein eigenes Moodboard ihres neuen Zuhauses zu erstellen mit Fotos und Notizen zu Sachen, die ihnen wichtig sind, ihrem Geschmack entsprechen etc.
Am Ende waren sie etwas müde, aber auch stolz über ihren Canvas und verpflichteten sich gegenseitig ihre Bedürfnisse offener zu kommunizieren und ein tolles neues Zuhause zu finden.
Ergebnisse
- Die Nutzenden haben eine konkrete Einsicht in ihre Probleme und Bedürfnisse gewonnen und sehen die Wohnungssuche und das Gestalten der neuen Wohnung nicht mehr als etwas unüberwindbares, sondern als einen kreativen Prozess, der sie als Personen, Paar und Familie stärken wird.
- Auch ich habe eine Einsicht darüber bekommen und kann sie besser in diesem Prozess begleiten.
Reflexion
- Co-Creation ist zielführend, wenn den beteiligten Personen ein simples Tool in die Hand gegeben wird in dem sie sich wiederfinden können.
- Der analoge und spielerische Charakter (fotografieren, Fotos in Magazinen suchen und ausschneiden) baut Hemmungen ab und versetzt Nutzer leicht in die Rolle der Profis; dadurch können sie auch besser mit ihnen kommunizieren.
- Der Totem Canvas setzt sich aus bereits bekannten Design Methoden wie Cultural Probes, analoge Collagen und Moodboards zusammen. Der zusammenführende und integrierende Charakter macht ihn zu einem tollen Tool um kreative Co-Creation Workshops zu gestalten und kann damit den ganzen Planungsprozess begleiten, formen und dokumentieren.