Gähnende Leere war bisher die Reaktion, wenn Verwaltungsmitarbeitende der Stadt St.Gallen bei einem einfachen Aufruf Herausforderungen in ihren Tätigkeiten oder Bedürfnisse rund um die digitale Transformation auf Knopfdruck benennen sollten. Ein Problem der Aufmerksamkeit des Aufrufs, der Einfachheit der Formulierung oder doch der Betriebsblindheit? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Für die Organisationsentwicklung der Stadtverwaltung stellte sich deshalb die Frage, wie Verwaltungsmitarbeitende so abgeholt werden können, dass sie trotz Betriebsblindheit und Alltagstrott Handlungsbedarfe in ihrer Arbeit erkennen und auf das Beratungsangebot einer Transformationsabteilung aufmerksam werden.
Für diesen Zweck wurde die Methode «Würfelstunde» als 15-minütige Vorbereitungsaufgabe eines ersten internen Beratungstermins eingesetzt. Auf eine spontane Termineinladung mit kurzer Erläuterung der Beweggründe des Termins und Ankündigung der Aufgabe wurden die Materialien physisch zugestellt. Im eigentlichen Beratungstermin wurden die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der «Würfelstunde» geteilt und diskutiert, um darauf aufbauend die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Organisationsentwicklung zu erläutern.
Wie können Verwaltungsmitarbeitende so abgeholt werden, dass sie trotz Betriebsblindheit Handlungsbedarfe in ihren Tätigkeiten erkennen und das Beratungsangebot einer Transformationsabteilung kennenlernen?
Die Organisationentwicklung der Stadt St.Gallen ist zuständig für die Unterstützung der 43 Dienststellen der Stadtverwaltung bei Fragestellungen rund um die digitale Transformation. Das interne Beratungsangebot der Organisationsentwicklung wird zurzeit überarbeitet und bedürfnisorientiert weiterentwickelt. Neben einem ad-hoc Beratungsangebot, welches mehr auf Führungspersonen ausgerichtet ist, sollen mit einer niederschwelligen, spielerischen «Push-Methode» insbesondere auch die fachkundigen und bevölkerungsnahen Mitarbeitenden angeregt werden, Verbesserungspotentiale und Bedürfnisse zu erkennen, welche anschliessend in vertieften Design Tätigkeiten angegangen werden können.
Auswahl der Mitarbeitenden
Als Gestalter*in stellt sich als erstes die Frage, welche Mitarbeitenden für einen ersten Beratungstermin angefragt werden sollen - bereits vertraute Gesichter, komplett fremde Mitarbeitenden oder doch lose Bekanntschaften? Ich entschied mich für zwei lose Bekanntschaften, welche mich aus einem Webinar bereits ein wenig kannten und schickte diesen Mitarbeitenden eine spontane Termineinladung für einen ersten, bilateralen Beratungstermin. Darin nannte ich die Beweggründe des Termins und erwähnte eine kurze 15-minütige Vorbereitungsaufgabe, welche vor dem Termin durchgeführt werden soll – die «Würfelstunde».
Vorbereitung und Versand der Materialien
Die benötigten Vorlagen der Methode wurden auf möglichst dickem Papier ausgedruckt und den beiden Mitarbeitenden zusammen mit Post-Its, Schere und Leimstift zugestellt. Mit der einen Mitarbeiterin telefonierte ich kurzfristig, um die Vorbereitungsaufgabe persönlich zu übergeben und die Durchführung der Methode passiv zu begleiten. Der zweiten Mitarbeiterin wurden die Unterlagen per interner Post zugesandt.
Anwendung der «Würfelstunde»
Die Mitarbeitenden führten die «Würfelstunde» eigenständig mithilfe der Anleitung durch. Konzentriert durchlesend, notierend, schnipselnd, auch mal lachend, und schliesslich zusammenklebend – nach weniger als 15-Minuten war die Kurzanalyse vorbei. Die Mitarbeiterin, bei der ich physisch anwesend war, begann direkt ihre Antworten vorzustellen. Sie kam ins Sprudeln, notierte weitere Verbesserungenpotentiale und zeigte mir Dinge auf ihrem Bildschirm. Nach weiteren zehn Minuten schlossen wir die Aufgabe, um die aufgeworfenen Fragen im eigentlichen Beratungstermin weiter zu bearbeiten. Den Würfel behielt die Mitarbeitende bei sich am Arbeitsplatz.
Individuelle Beratungstermine
Da die Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Abteilungen kamen, fanden die 45-minütigen Beratungstermine individuell statt. Bei der zweiten Mitarbeiterin, die ich zum ersten Mal sah, habe ich zuerst kurz die Befindlichkeit mit der Vorbereitungsaufgabe abgeholt, bevor wir uns den inhaltlichen Ergebnissen der Kurzanalyse widmeten. Während der Vorstellung der Antworten versuchte ich mit vertiefenden Fragen den Handlungsbedarf besser zu verstehen. Beide begannen nun die Verbesserungswünsche auf den Bildschirmen zu verdeutlichen. Die Erkenntnisse daraus notierte ich, um anschliessend Quick-Wins oder nächste Schritte direkt aufzeigen zu können. Für die geplante Vorstellung der Unterstützungsmöglichkeiten seitens der Organisationsentwicklung war die Zeit zu knapp, nichtsdestotrotz konnte ich bereits einige wertvolle Anknüpfungspunkte aus diesen Beratungsterminen mitnehmen.
Der Einsatz der «Würfelstunde» in diesem Anwendungsfall brachte einige inhaltliche, methodische und organisatorische Erkenntnisse mit sich:
Auf der inhaltlichen Ebene waren die schriftlichen Antworten auf dem Würfel nach einer 15-minütigen Analyse erwartungsgemäss nicht sehr tiefgründig, allerdings wirkte die Methode stark nach und regte zu weiterführenden Gedanken an. So brachten beide Mitarbeitenden neben ihrem Würfel und den Post-Its auch zusätzliche Beobachtungen und Optimierungsvorschläge aus ihrem Arbeitsalltag mit, welche sie zwischen ihrer «Würfelstunde» und Beratungstermin aufgegriffen haben. Durch dieses «Nachwirken» und die tieferbohrende Diskussion im Beratungstermin konnten schlussendlich in beiden Fällen einige Quick Wins oder erste Stossrichtungen für vertiefende Design Tätigkeiten identifiziert werden.
Methodisch betrachtet zeigte der Anwendungsfall auf, dass die spielerische und vor allem haptische Art der Methode von den Mitarbeitenden durchaus geschätzt wird. Ein Würfel macht neugierig, bleibt im Gedächtnis und er regt vielleicht sogar das Gespräch mit Kolleg*innen an. Das physische Falten und Leimen mit dem Würfelbogen regten nach meiner Beobachtung die Gedanken an. So kamen die Mitarbeitenden ins «Sprudeln» und erinnerten sich an lang ersehnte Verbesserungswünsche, die ihnen nicht mehr präsent waren.
Organisatorisch bedeutet dies, dass es Prozesse und Gefässe benötigt, um diese Verbesserungsvorschläge in die Organisation aufzunehmen und deren Umsetzung zu kontrollieren, beispielsweise durch eine Aufnahme in ein Kaizen-Board einer Betriebsabteilung, oder in den Backlog einer Transformationsabteilung. Noch wichtiger scheint allerdings, die identifizierten Quick Wins tatsächlich zu realisieren, um dem aufgekommenen Enthusiasmus gerecht zu werden. Damit zeigte mir der Anwendungsfall der «Würfelstunde» auf, dass ein «Push»-Beratungsangebot nur dann sinnvoll ist, wenn damit ein Erwartungsmanagement mit den Mitarbeitenden und eine vorsichtige Ressourcen- und Projektplanung der Transformationsabteilung einher gehen.