Immer häufiger werden für den Prozess der Ideenentwicklung interdisziplinäre Teams zusammengestellt. Oft hat es in diesen heterogenen Gruppen Brainstorming-Neulinge dabei, die sich verunsichert fühlen, wenn sie auf Knopfdruck Ideen liefern müssen. Ziel war es, eine Methode zu entwickeln, welche diesen Personen hilft, auf eine einfache und spielerische Art Ideen zu generieren.
Die menschliche Fähigkeit «in andere Rollen zu schlüpfen» wurde schon früh als Potenzial für diese Methode erkannt. Das Rollenspiel soll den Teilnehmenden einerseits helfen, vielseitige, unerwartete und neue Ideen zu generieren. Andererseits nimmt es ihnen den Druck bei der Präsentation der Ideen, da sie sich gewissermassen «hinter» der Rolle verstecken können.
Im Laufe des Prozesses kristallisierten sich immer stärker der Nutzen und die Vorteile des asynchronen Brainstormings heraus, weshalb schlussendlich die Methode des asynchronen Brainstormings mit Character-Cards in Miro entwickelt wurde. Asynchron bedeutet im vorliegenden Anwendungsfall das zeitversetzte, individuelle Beantworten einer Fragestellung, remote innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums.
Wie kann die Ideenentwicklung bei Personen mit wenig Brainstorming Erfahrung auf eine spielerische und entspannte Art unterstützt und angeregt werden?
Es wurde die Entwicklung eines Brainstorming Tools angestrebt, zur Unterstützung und als Denkanstoss für Personen mit wenig Brainstorming Erfahrung. In einem iterativen Entwicklungsprozess wurden diverse Prototypen erstellt und über mehrere Stufen mit Personen aus unterschiedlichen Berufs-, Geschlechts- und Altersgruppen getestet.
Hypothese
Zu Beginn stand die Annahme im Raum, dass «in andere Rollen schlüpfen» Personen beim Brainstorming unterstützen kann und eine inspirierende Wirkung hat.
Entwicklung Character-Cards
Als Werkzeug für die Auswahl und Verteilung der Rollen wurde ein Set an Karten entwickelt. Jede dieser Character-Cards beschreibt einen Charakter. Für die Entwicklung der Charaktere standen verschiedene Grundlagen zur Diskussion. Schliesslich wurden die Charaktere in freier Anlehnung an die Extrempositionen aus dem Big Five Modell (Persönlichkeitspsychologie) entwickelt. Dem Big Five Modell zufolge existieren fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit. Jeder Mensch kann auf Skalen der einzelnen Dimensionen eingeordnet werden. Anhand der Extrempositionen der einzelnen Skalen konnten überzeichnete und somit fürs Rollenspiel dienliche Charaktere erstellt werden.
Es wurden drei Character-Card Prototypen entwickelt, welche sich in der Formulierung der Charakter-Beschreibung unterscheiden: V1 - Stichwortartiger Beschrieb (Alter, Beruf, Wohnsituation), V2 - Beschrieb mit einer Prise Schalk ohne 100% wissenschaftliche Referenz, V3 - Sachlicher Beschrieb.
Validierung und Tests
In einem ersten Schritt wurde die Annahme mit 6 Einzelpersonen geprüft.
Sie sollten zuerst 10 Minuten ohne Hilfsmittel brainstormen und danach zur selben Frage je 10 Minuten mit den Prototyp Karten (V1-V3) brainstormen. Die Erkenntnisse wurden protokolliert.
Durch den Vergleich der Resultate mit und ohne Character-Cards, konnte die Annahme bestätigt werden, dass die Teilnehmenden mithilfe der Character-Cards auf mehr und vielfältigere Ideen kamen. Bei den Prototypen wurde Variante 2 von den Testpersonen favorisiert, da die Charaktere damit am fassbarsten wurden.
Ausarbeitung Character-Cards und Entwicklung Miro Board
Anhand der Resultate aus den Testings wurden die Character-Cards weiterentwickelt und auf 10 Charaktere ausgeweitet.
Diese wurden in einem synchronen Brainstorming mit vier Personen vor Ort getestet. Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Entwicklungsschritt waren, dass ein Warm-up den Teilnehmenden hilft das System zu verstehen und in die spielerische Stimmung zu kommen, und, dass eine klare Fragestellung innerhalb eines definierten Rahmens für die Qualität der Resultate zentral ist. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wurde das Miro-Board vorbereitet. Details dazu siehe Methoden-Ablauf.
Mit denselben Personen aus dem Testing vor Ort wurde ein asynchroner Miro Testlauf durchgeführt, um weitere Erkenntnisse zur Optimierung der asynchronen Anwendung zu gewinnen. Die wichtigsten Rückmeldungen waren, dass sich die Teilnehmenden eigene Frames mit vorbereiteten Sticky-Notes und eine kurze Miro-Anleitung (bei erstmaliger Verwendung) wünschen.
Methoden-Anwendung an einem konkreten Fall
Zum Abschluss des Entwicklungsprozesses wurde die Methode für die Beantwortung einer aktuellen Fragestellung angewendet. Für ein neu eröffnetes Pilates-Studio, welches aufgrund der Covid-Restriktionen nicht wie geplant durchstarten konnte, wurde ein Ideenentwicklungs-Prozess angeregt. In einer interdisziplinären und soziodemografisch durchmischten Gruppe (um unterschiedliche potenzielle Kundschaftsbedürfnisse abzudecken) wurde ein asynchrones Brainstorming in Miro durchgeführt. Ziel war es, möglichst viele und diverse neue Geschäftsideen fürs Studio zu generieren.
Nach den Testrunden gaben die Teilnehmenden kurze Rückmeldungen, was ihnen am Vorgehen gefiel, was sie optimieren oder weglassen würden. Daraus wurden wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Methode gewonnen.
Mehrere Vorteile der asynchronen Anwendung wurden erkannt. Ideen können dann entwickelt werden, wenn man sich «danach fühlt» und es können individuelle Pausen eingelegt werden. Gerade Personen mit wenig Erfahrung fühlten sich durch die zeitversetzte Bearbeitung entspannter und weniger unter Druck. Weiter hilft die Methode das Potenzial der digitalen Zusammenarbeit auszuschöpfen. Durch die asynchrone Anwendung ist man weder örtlich noch zeitlich gebunden, wodurch die Einsatzmöglichkeiten der Methode deutlich erhöht werden.
Die Teilnehmenden wiesen teilweise darauf hin, dass sie dank den Charakteren weniger gehemmt seien «unkonventionelle», «verrückte» oder auch «uncoole» Ideen zu äussern, da sie diese nicht als sich-selbst sondern in einer Rolle äussern.
Personen mit Brainstorming Erfahrung sahen die Karten als willkommene Inspiration für weiterführende Ideen.
Das Feedback war mehrheitlich positiv, die spielerische Art mache Spass und eine Mehrheit gab an, sie würden den Einsatz der Methode in künftigen Brainstormings begrüssen.
Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass die eigene Meinung trotz Character-Cards stets mitschwingt.