Spielerisches «Wireframing» unter Zeitdruck

Eine Methode, um Blockaden im Gestaltungsprozess eines Software-Produktes zu lösen. Gemeinsame Ideenfindung ermöglicht Variantenvielfalt und fördert Entscheidungsfreude.

Von Dietmar Kolar (2022)

Ein Team von 3 Personen soll für einen Kunden im Gesundheitsbereich ein digitales Produkt schaffen. Bei fortgeschrittenem Stand des Design-Prozess wurden bereits viele Informationen zusammengetragen und ausgewertet. Der involvierte Designer findet sich in einer regelrechten «Analysis Paralysis». Darunter versteht man das übermässige Analysieren einer Situation, wodurch das Treffen einer Entscheidung verzögert oder gar verhindert wird.

Hier findet Die Methode ihre Anwendung: Eine zweite Person wird hinzugezogen. Die Methode fordert nun von den zwei Personen einen intensiven Ideenaustausch. Knappe Zeit-Intervalle erfordern intuitive und abstrahierte Vorschläge. In einer anschliessenden Konsolidierungsphase wird eine Entscheidung gefällt und ein Prototypen-Konzept festgelegt. Anstatt wertvolle Zeit in Annahmen zu verlieren, wird dadurch das Testen einer Idee - und das Erlangen von Erkenntnissen angeregt.

Wie können wir es schaffen, dass die Überprüfung einer Idee schneller passiert und die Umsetzung einfacher gelingt?

Ausgangslage

Der Kunde ist im Gesundheitsbereich tätig und wünscht sich eine digitale Plattform, um damit einfacher planen und genauer verrechnen zu können. Es wurden dafür Interviews geführt, Personas und User Journeys erstellt – somit die Probleme der Nutzer und erkannt und ein Produktversprechen definiert.

Das Projekt-Team besteht aus: 

  • Der Designer: zuständig für den User-Research, Konzeption und Entwurf.
  • Die Projektmanagerin: koordiniert Kosten und Kundenkontakt 
  • Der Entwickler: prüft die technische Machbarkeit und ist zuständig für die Implementierung im Front- und Backend. 

Die Ideenfindung und Gestaltung des Produktes erweist sich als schwierig- da die Anforderung an die Applikation nicht trivial und keinesfalls offensichtlich sind. Nur über die Testung eines ersten Prototyps mit einem Vertreter der Zielgruppe kann Klarheit bringen.
Um diesen Prototypen zielstrebig zu erstellen, nutzt der Gestalter die Methode «Das Volle Dutzend».
 

Vorgehen & Methodenanwendung

Der Gestalter bittet seine Arbeitskollegin um Hilfe. Sie arbeitet im Marketing. Ihre Affinität zu Design und ist bei dieser Methode vorteilhaft.

Vorbereitung
Als Vorbereitung zu der Übung besprechen die beiden bei einer Tasse Kaffee kurz folgende Themen: Wer sind die Nutzer und welches Probleme soll das Produkt in Zukunft lösen. Nachdem das geklärt ist, sammeln sie sich in einem ruhigen Besprechungsraum. Auf dem Tisch befinden sich die 2 Papierbögen, Stifte und 1 Smartphone im Flugmodus. Die Timer-App «Hiitmi» ist eigentlich für Fitness-Trainingseinheiten konzipiert und eignet sich dafür bestens für die Methode.

Ideen-Erarbeitung
Der Countdown zählt nach unten: … 3 – 2 – 1 - Los!

  • Das erste 4-Minuten Intervall wird gestartet: Der spielerische Zeitdruck versetzt die beiden Teilnehmer in eine andere, abstraktere Art zu denken. Wie kann das Produktversprechen, die eigentliche Lösung des Problems am einfachsten erreicht werden?
  • Die ersten 4 Minuten sind um – der Timer zählt 10 Sekunden Pause – in der Zeit müssen die Blätter getauscht werden. Das zweite Intervall beginnt: Der erste Entwurf der Kollegin ist überraschend anders – erfrischen einfach. Genial – das bringt den Gestalter auf eine weitere Idee…
  • Nach Ablauf der 6 Intervalle sind 25 Minuten vergangen. Stoppuhr und knappen Zeitvorgaben bringt nicht nur den Herzschlag, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit auf Touren. Die Teilnehmer sind in den Intervallen gezwungen, die Anwendung auf das Nötigste zu reduzieren. Es provoziert einfache – aber effektive Abkürzungen und Struktur. 
  • Die Blätter wurden 6-mal getauscht und sind nun vollständig ausgefüllt, mit insgesamt 12 Varianten: das Dutzend Ist voll!


5 Minuten Pause
Es folgt eine wohlverdiente, aber dennoch knappe 5 Minuten Pause.

Entscheidungsfindung
In den nächsten 25 Minuten werden die Blätter geteilt und die 12 Varianten aufgelegt. In der übersichtlichen Auslegeordnung werden die gemeinsamen Ansätze markiert, die Ideen verglichen und zu einer Lösung konsolidiert. Die Denkweise der Teilnehmer ist nun wieder entspannt und überlegt. Dennoch gibt der Zeitrahmen vor, dass am Ende Einheit ein Konzept entsteht, welches als Prototyp umgesetzt und getestet wird.
 

Ergebnisse & Reflexion

Durch die Methode «Das Volle Dutzend» werden unterschiedliche Denkmuster provoziert. Die Abwechslung zwischen schneller (intuitiver) und langsamer (überlegter) Denkweise ermöglicht konkrete Resultate.
Das gemeinsame Erarbeiten der Varianten begünstigt ein gemeinsames Verständnis für das Produkt und darin liegenden Herausforderungen.
Die Methode sollte öfter geübt werden, da das Prinzip des «Idea – Burstings» anfangs noch ungewohnt ist. Die Wiederholung der Methode zieht ein positiven Trainings-Effekt mit sich. Im Vergleich dazu – das Koordinationstraining im Sport (zum Beispiel: Jonglieren, Strickleiter-Laufen). Die Koordination kann nur dann verbessert werden, wenn der Schweregrad der Übung stetig erhöht wird, bis der*die Teilnehmer*in daran scheitert.

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